"Nie wieder ist jetzt" - Pogromgedenken in Mülheim

An die „finsterte und dunkelste Stunde“ Mülheimer und deutscher Geschichte erinnerte Stadtdechant Michael Janßen beim Pogromgedenken, zu dem die Stadt Mülheim gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde Duisburg/ Mülheim / Oberhausen auf den Synagogenplatz eingeladen hatte. „Wir sind es der jungen Generation schuldig, immer wieder davon zu erzählen.“ Auch der Kirchenkreis An der Ruhr war an der Veranstaltung beteiligt und hatte zur Teilnahme aufgerufen.

Die angesprochene junge Generation war durch die Klasse 9.3 der Gustav-Heinemann-Gesamtschule vertreten. Auf großen Schwarzweißbildern zeigten die Schülerinnen und Schüler, wie es an gleicher Stelle vor 1938 aussah. Vor der Pogromnacht, in der die Mülheimer Synagoge niederbrannte, prägte die prächtige Fassade des jüdischen Gotteshauses das Bild an dieser Stelle. Nicht nur Bilder, sondern auch (Lebens-)geschichten und Gedichte jüdischer Menschen zur Zeit der NS-Herrschaft brachten die Schülerinnen und Schüler mit, um sie vor den rund 250 Besucherinnen und Besuchern vorzutragen.

„Nie wieder ist jetzt“, hob Oberbürgermeister Marc Buchholz in seiner Rede hervor. Die Deutschen haben in ihrer Geschichte große Schuld auf sich geladen. „Demokratie, Zivilcourage Mitmenschlichkeit waren damals nicht stark genug“, um die Pogrome zu verhindern. „Das darf nie wieder geschehen.“ Angesichts der Akte der Terrormiliz Hamas sei es auch heute noch wichtig, für demokratische Werte einzustehen. „Dass Sie alle hier sind, ist Zeichen, dass wir uns einig sind, dass die Sicherheit Israels nicht verhandelbar ist. Dafür stehen wir heute ein, teilen Trauer, zeigen Solidarität, und verurteilen den Terrorangriff. Nie wieder ist jetzt.“

 

Gedicht, vorgetragen beim Pogromgedenken:

 

Der Schmetterling 

Der letzte, der allerletzte,

so kräftig, hell, gelb schimmernd,

als würden sich die Tränen der Sonne

auf einem weißen Stein niederlassen.

So ein tiefes, tiefes Gelb

er hebt sich ganz leicht nach oben.

Er verschwand weil, so glaube ich,

weil er der Welt

einen Abschiedskuss geben wollte.

Seit sieben Wochen habe ich hier gelebt.

Eingepfercht im Ghetto.

Aber ich habe hier meine Freunde gefunden.

Der Löwenzahn verlangt nach mir

und die weißen Kerzen der Kastanien im Hof.

Aber ich habe niemals

einen zweiten Schmetterling gesehen.

Dieser Schmetterling war der letzte seiner Art.

Schmetterlinge leben nicht hier,

im Ghetto.

(Der junge Dichter Pavel Friedman war vermutlich 17 Jahre alt , als er das Gedicht „Der Schmetterling” am 4. Juni 1942 im Ghetto Theresienstadt schrieb. Sein Werk wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit Kinderzeichnungen in einem geheimen Versteck gefunden. Friedman wurde nach Auschwitz deportiert, wo er am 29. September 1944 umkam.)

  • 9.11.2023
  • Annika Lante
  • Red